Band

Es ist unheimlich heiß, der Saal ist zu voll, die Stimmung ist doll – es spielt …

Die CITY Rockband, liebe Damen und Herren! Und zwar in der Musiksendung RUND, im Fernsehen der DDR. Ich bin 14 Jahre alt. Mir gefallen die harten Gitarrenriffs und die intensive Art des Sängers. Wie er singt und wie er aussieht. Und der Trommler sitzt auf der Erde. Diese Band sprengt in meinen Augen und Ohren eindeutig den artigen Rahmen. CITY kommt direkt vom Planeten Rock’n’Roll, auf dem für mich nur ganz wenige Ostbands wohnen.

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Diskothek im Kreiskulturhaus Lichtenberg, am S-Bahnhof Berlin Karlshorst. Die Tanzfläche ist brechend voll. Ich lass die Haare hängen und schaukle mich in Trance. „Einmal fassen, tief im Blute fühlen…“ Ich verstehe zwar nichts, fühle mich aber trotzdem zutiefst angesprochen. Gigantische Wortgebirge thronen über einfachen musikalischen Strukturen. Doch der eigentliche Clou ist die abfliegende, virtuos gespielte Geige, die sich durch das ganze Lied zieht. Am Fenster läuft heute schon zum dritten Mal und ist wohl überhaupt das einzige osteuropäische Musikprodukt, was hier vom Schallplattenunterhalter aufgelegt wird. Und das Verrückteste ist, dass sich der coole Megahit sogar nach osteuropäischer Folklore anhört, denn Citybassist Georgi Gogow kommt aus Bulgarien. Nur bei diesem einen Lied spielt er Geige.
Als ich CITY Ende der 70er Jahre endlich zum ersten Mal live auf dem Alexanderplatz sehe, bin ich wieder schwer beeindruckt. Geile Show. Der männliche Georgi Gogow tanzt mit seinem Bass breitbeinig ums Schlagzeug, welches Klaus Selmke wirklich auf dem Boden sitzend beackert. Gitarrist Fritz Puppel steht wie ein Denkmal an der Bühnenkante und gibt jedem Gitarrenriff gestisch eine exorbitante Bedeutung. Doch vor allen anderen bin ich von Frontmann Toni Krahl fasziniert. Auch er macht nur wenige markante Aktionen, aber niemand kann sich seiner Aura entziehen. Er ist ein echter Rockstar.
Ich kaufe mir alle Platten von CITY und bin stolz, als sie schließlich im legendären ROCKPALAST auftreten. Ein ähnliches patriotisches Gefühl überkam mich nur bei der Fußballweltmeisterschaft ’74, als DDR-Nationalspieler Jürgen Sparwasser mit seinem Tor den Sieg über die Mannschaft der Bundesrepublik besiegelte. Unser kleines Land macht sich auf den Weg in die große weite Welt!

Mit Dreamer bringt CITY dann auch folgerichtig das erste englischsprachige Album der DDR heraus, was meinen Helden aber nicht so richtig zu Gesicht stehen will. Die Band durchläuft eine Krise, in deren Folge Teufelsgeiger und Bassist Georgi Gogow aussteigt. Er gründet die Band NO 55. CITY holt sich dafür den markanten Manfred Henning als Keyboarder ins Boot und hat auch gleich einen werbewirksamen Slogan parat: „Ohne Bass und ohne Haare – in die 80er Jahre!“ Alle tragen jetzt schnittige Glatzen. Keiner weiß so gut, wie man dasteht. Da können sich NO 55 musikalisch die Kante geben, wie sie wollen.
Auch als ich 1985 eine eigene Musikkarriere beginne, sind die Begegnungen mit den Musikern von CITY für mich von elementarer Bedeutung. Bei einem meiner ersten Konzerte steht Toni Krahl völlig unerwartet im Publikum, und mir schlägt das Herz bis zum Hals. Meinem Idol gefällt die Energie meiner Band, und er gibt mir das Gefühl ein gleichwertiger Kollege zu sein. Ein unglaubliches Vorkommnis! Den Ritterschlag für mein Selbstverständnis als Musiker bekomme ich aber von Georgi Gogow, der mich als Sänger für NO 55 gewinnen will.
1987 ist von einem politischen Umbruch noch nichts zu ahnen, doch CITY lehnt sich im Gegensatz zu den meisten etablierten Bands sehr weit aus dem Fenster. Casablanca ist die Platte des Jahres! Musikalisch ist es das spannendste Produkt, was CITY in den 80er Jahren abgeliefert hat. Die Produktion setzt überhaupt neue Maßstäbe. Textlich werden Tabus gebrochen, und mit dem Titel Wand an Wand wird die deutsch-deutsche Trennung in einer nie da gewesenen Deutlichkeit thematisiert.
Toni Krahl wird zu einer wichtigen politischen Figur der Wendezeit und schließlich zum Vorsitzenden der Sektion Rock beim Komitee für Unterhaltungskunst gewählt. Er ist Mitinitiator einer Künstlerresolution, die 1989 hohe Wellen schlägt. Die Künstler um Toni Krahl setzen sich für eine Demokratisierung des Sozialismus ein. Ich mach auch mit, und in einem euphorischen Moment glaube ich sogar, in die SED eintreten zu wollen. Toni holt mich zurück auf den Boden: „Schreib lieber Lieder!“
Unmittelbar nach dem Mauerfall treffen wir uns auf kleinen Bühnen irgendwo im Westen Deutschlands. CITY und DIE ZÖLLNER auf gleicher Ebene! Eine kurze Zeit der Orientierungslosigkeit, die Ostdeutschen wollen erst mal vom lang Entbehrten kosten. Doch mit dem Wiedereinstieg von Georgi Gogow im Jahre 1992 gehören CITY schließlich zu den wenigen Überlebenden des Ostrock. Sie können völlig unabhängig von den Mechanismen der alten westdeutschen Musiklobby existieren, die alten Fans strömen wieder zu den Konzerten. Beim deutsch-deutschen ROCKPALAST in der Berliner Waldbühne 1996 sind CITY in meinen Augen der Topact. Von allen beteiligten Bands aus Ost und West findet ihr Auftritt die größte Beachtung. Die Menschen feiern das untergegangene Land, und ich glaube, es sind dieselben, die gerade noch „Wir sind ein Volk!“ skandierten.
Die Titel und die Ansagen von CITY sind in Stein gemeißelt, und es gibt nur noch ganz wenige Bands, in denen jeder einzelne Musiker eine derartige Persönlichkeit besitzt. Frontmann Toni Krahl und Gitarrist Fritz Puppel sind das Duo Infernale – für CITY das, was Jagger und Richards für die Stones sind. Doch auch Klaus Selmke am Schlagzeug, Manfred Henning an den Keyboards und Geiger Georgi Gogow sind mehr als Bandmusiker. Jedes einzelne Gesicht dieser Band ist in den Köpfen der ostdeutschen Menschen eingebrannt. CITYs Konzerte sind Großevents. Kaum einer anderen Band, die ihre Wurzeln bereits in der DDR geschlagen hatte, ist dieses Kunststück in einer solchen Dimension gelungen.

Man kommt an CITY nicht vorbei. Seit 40 Jahren.

Ich gratuliere von Herzen!

Dirk Zöllner